Das Ende der männlichen Dominanz: Ein Leitfaden für Männer zur Überwindung patriarchaler Muster

Das Patriarchat ist kein Relikt der Vergangenheit, sondern eine tief verwurzelte Struktur, die auch heute noch unseren Alltag, unsere Beziehungen und unsere Sicht auf Geschlechterrollen prägt. In Mitteleuropa, insbesondere in der Schweiz, mag es subtiler wirken, doch es ist präsent und wirkt oft im Stillen.

Ziel dieses Textes ist es, Ihnen als Mann eine Perspektive zu bieten, wo und wie diese Strukturen wirken, um sie bewusster wahrnehmen und abbauen zu können.

Das Patriarchat im Alltag: Zahlen und Fakten (Schweiz) . Das Patriarchat in Beziehung und Sexualität . Das Privileg des weissen Mannes (White Male Privilege) . Gewonnene Qualitäten (Systemische Vorteile) . Verlorene Qualitäten (Persönliche Kosten) . Verantwortung und Wandel


Das Patriarchat im Alltag: Zahlen und Fakten (Schweiz)

Obwohl Frauen formalrechtlich gleichgestellt sind, zeigen sich patriarchale Muster in der ungleichen Verteilung von Arbeit, Macht und finanzieller Anerkennung:

1. Ökonomische Ungleichheit (Gender Pay Gap & Glasdecke)

Das Patriarchat bewertet traditionell männlich dominierte Berufe oder Tätigkeiten als höherwertig und besser bezahlt.

  • Lohnschere: Frauen verdienten in der Schweiz im Jahr 2022 durchschnittlich 16,2 Prozent weniger als Männer.
  • Unerklärte Differenz: Rund die Hälfte dieses Lohnunterschieds (ca. 48%) lässt sich nicht durch objektive Faktoren wie Ausbildung oder Position erklären. Diese Differenz ist oft direkt auf Diskriminierung und patriarchale Bewertungsmechanismen zurückzuführen.
  • Die Glasdecke (Glass Ceiling): Je höher man in Unternehmen oder politischen Ämtern aufsteigt, desto seltener findet man Frauen. Entscheidende Positionen bleiben oft männlich besetzt, was bedeutet, dass Männer mehr Macht über gesellschaftliche und wirtschaftliche Prozesse ausüben.
  • Karriere-Malus: Nach der Geburt eines Kindes erleiden Frauen im Gegensatz zu Männern oft deutliche Einkommenseinbussen, da sie ihre Karriere zugunsten der Betreuungsarbeit zurückstellen (Müttermalus).

2. Die unsichtbare Last (Mental Load & Care Work)

Die Hauptlast der unbezahlten Haus- und Sorgearbeit („Care Work“) liegt immer noch bei Frauen.

  • Der „Mental Load“: Dies bezeichnet die unsichtbare, organisatorische Arbeit (Termine, Planung, Geschenke, Behördenkram), die in heterosexuellen Partnerschaften meistens bei der Frau liegt. Sie denkt daran, dass etwas getan werden muss.
  • Unbezahlte Sorgearbeit (Care Work): Die Hauptlast der Kindererziehung, Pflege von Angehörigen und Hausarbeit liegt immer noch bei Frauen. Wenn Männer sich beteiligen, wird dies oft als „Hilfe“ oder „Entlastung“ der Frau wahrgenommen – nicht als selbstverständlicher, gleichberechtigter Anteil an gemeinsamer Verantwortung.

Das Patriarchat in Beziehung und Sexualität

Hier sind die Wirkungen oft besonders emotional und tief verwurzelt, da sie unsere Identität und Intimität betreffen:

In der Beziehung (Macht und Emotionen):

  • Mangelnde emotionale Kompetenz: Die patriarchale Erziehung („Männer weinen nicht“) hindert Männer oft daran, ihre eigenen Emotionen frei zu äussern. Dies führt dazu, dass Frauen in vielen heterosexuellen Beziehungen unbewusst die Rolle der emotionalen Managerin übernehmen.
  • Der Entscheidungsanspruch: Es hält sich oft die Erwartung, dass der Mann die „logische“, „rationale“ und endgültige Entscheidung in wichtigen Fragen trifft.

In der Sexualität (Das Skript der Penetration):

Das Patriarchat hat ein enges sexuelles Skript etabliert, das die Lust des Mannes in den Mittelpunkt stellt und auf dem Konzept des Leistungssex beruht:

  • Die Definition von Sex: Viele Männer bewerten eine sexuelle Begegnung erst als „richtigen Sex„, wenn Penetration stattgefunden hat und sie dabei zum Orgasmus gekommen sind. Die patriarchale Wirkung hier: Sex wird unbewusst auf ein Ziel reduziert, das durch männliche Aktion erreicht wird. Weibliche Lust (die oft klitorale Stimulation erfordert) und nicht-penetrative Formen der Intimität, sowie die emotionale Komponente werden dadurch entwertet oder als „Vorspiel“ degradiert.
  • Doppelmoral (Double Standard): Frauen, die ihre sexuelle Lust selbstbewusst und aktiv einfordern, werden gesellschaftlich oft negativer bewertet („promiskuitiv“) als Männer mit gleichem sexuellem Verhalten („erfahren“).

Abweichungen von der Norm:

  • Asexuelle und aromantische Männer: Der patriarchale Leistungsdruck in der Sexualität betrifft auch Männer, die kein oder wenig sexuelles oder romantisches Interesse empfinden. Sie werden durch die gesellschaftliche Norm, immer sexuell verfügbar und performant sein zu müssen, unter erhöhten sozialen Druck gesetzt.
  • Patriarchale Dynamiken jenseits der Heterosexualität: Das Leistungs-Skript und die ungleiche emotionale Last sind nicht auf Heterosexualität beschränkt. Auch in gleichgeschlechtlichen oder nicht-binären Partnerschaften müssen Aufgaben und emotionale Verantwortung aktiv verhandelt werden, da das Fehlen automatischer Geschlechterrollen nicht automatisch Gleichheit bedeutet.

Das Privileg des weissen Mannes (White Male Privilege)

Das White Male Privilege beschreibt die systemischen Vorteile, die Männer aufgrund ihres Geschlechts und ihrer weissen Hautfarbe geniessen. Das System ist auf diese Gruppe ausgerichtet, was sowohl Vorteile (Gewinne) als auch psychologische Kosten (Verluste) mit sich bringt.

Gewonnene Qualitäten (Systemische Vorteile)

Diese Qualitäten sind der Gewinn aus dem Privileg, werden aber von der Gesellschaft oft als normativ und selbstverständlich betrachtet:

  • Ungefragte Autorität: Die Meinung des weissen Mannes wird oft als neutraler Standard betrachtet. Er muss Autorität weniger beweisen als Frauen oder Minderheiten, da ihm diese durch das System automatisch zugeschrieben wird.
  • Fehler-Toleranz: Fehler werden schneller als „Ausrutscher“ oder „Lernkurve“ bewertet, während Frauen oder Minderheiten oft sofort die Kompetenz abgesprochen wird.
  • Ökonomische Mobilität: Der Zugang zu Netzwerken, Kapital und Top-Positionen ist historisch und strukturell erleichtert, was einen einfacheren Aufstieg ermöglicht.

Verlorene Qualitäten (Persönliche Kosten)

Das System, das Männer bevorzugt, schränkt sie zugleich in ihrem menschlichen Ausdruck ein:

  • Eingeschränkte Emotionalität: Der Zwang zur patriarchalen Rolle des „Starken“ führt zur Verdrängung von emotionaler Tiefe, Verletzlichkeit und der Fähigkeit, Hilfe anzunehmen.
  • Mangelnde Beziehungsfähigkeit: Die Priorisierung von Leistung und Unabhängigkeit erschwert oft den Aufbau von gleichberechtigten, tiefen und fürsorglichen Beziehungen zu Partnern, Kindern und Freunden.
  • Verlust an Selbstreflexion: Die strukturelle Bevorzugung führt dazu, dass der Anreiz fehlt, die eigenen Privilegien, Vorurteile und automatischen Reaktionen kritisch zu hinterfragen.
  • Die Fragilität des Privilegs (Fragility): Weil das System Privilegierte selten zu einer kritischen Selbstreflexion zwingt, entsteht oft eine empfindliche Reaktion auf Kritik. Die Fragilität äussert sich darin, dass das Infragestellen des Systems oder das Aufzeigen eigener Fehler (z.B. bei der ungleichen Lastenverteilung) sofort als persönliche, existenzielle Abwertung empfunden wird, anstatt als Chance zur Veränderung. Man fühlt sich persönlich im Mangel oder als Opfer („Ich tue doch schon so viel!“), obwohl man strukturell im Vorteil ist.

Die Komplexität von benachteiligten Gruppen

Das Patriarchat wirkt bei Männern aus marginalisierten Gruppen anders:

  • Intersektionelle Belastung: Männer of Color (MoC), migrierte Männer oder Männer mit Behinderung erleben zwar das männliche Privileg gegenüber Frauen, sind aber gleichzeitig durch Rassismus oder Ableismus benachteiligt. Ihre patriarchale Rolle kann sich als erhöhter Leistungsdruck manifestieren, da sie sowohl männliche Macht demonstrieren als auch stereotype Vorurteile bekämpfen müssen.
  • Klassenunterschiede: Bei Männern mit niedrigem Einkommen oder Arbeiterklasse wirken patriarchale Strukturen oft nicht über die „Glasdecke“, sondern über den Zwang zur körperlichen Härte und die existenzielle Verantwortung als Haupt- oder Alleinverdiener, wodurch die emotionale Härte zusätzlich verstärkt wird.

Verantwortung und Wandel

Die Wahrnehmung dieser Muster ist der erste Schritt zur Veränderung. Es geht nicht darum, sich schuldig zu fühlen, sondern aktiv Verantwortung zu übernehmen:

  • Erweitere deine emotionalen Bezugspersonen: Deine Partnerin/dein Partner kann und sollte nicht dein einziger emotionaler Anker sein. Um die Beziehung vor Überlastung zu schützen, verteile deine emotionalen Bedürfnisse. Pflege aktiv ein Beziehungsnetz – besonders zu anderen Männern – denen du dich anvertrauen kannst. Echte, nicht-konkurrierende Männerfreundschaften sind essenziell, um die patriarchal verlangte emotionale Härte abzulegen.
  • Gleiche Last, gleiche Anerkennung: Übernimm aktiv den Mental Load. Geh die Termine, die Bestellungen und die Planung proaktiv an, ohne dass deine Partnerin dich daran erinnern oder dich anleiten muss.
  • Redefiniere Männlichkeit: Erlaube dir emotionale Verletzlichkeit. Echte Stärke liegt in der Fähigkeit zur Reflexion, zur Fürsorge und zur Empathie.
  • Hinterfrage das Skript: Löse dich vom Leistungsdruck in der Sexualität. Kommuniziere offen über Wünsche und Bedürfnisse abseits starrer Normen und mache die Lust und emotionalen Bedürfnisse deines Partners/deiner Partnerin zum gleichberechtigten Fokus deiner Intimität.
  • Die Falle der passiven Perfektion vermeiden: Handle proaktiv, aber reflektiert, statt aus Angst, Fehler zu machen, in lähmende Passivität zu verfallen. Gestehe Fehler ein und bleib im Dialog.

Begleitung? 1:1 oder im Gruppentraining:

Willst du tiefer in diese Themen einsteigen und lernen, wie du patriarchale Muster im Alltag und in deiner Sexualität aktiv durchbrechen kannst? Dann ist mein Online-Training „Cocks for Futuregenau das Richtige für dich. Diese Lernerfahrungen begleite ich auch in personalisierten 1:1 Sessions, in denen wir gezielt an einem neuen Verständnis von Männlichkeit, Gleichberechtigung und erfüllter Intimität arbeiten.

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